Die Staatsgründung Israels

Die Staatsgründung Israels - oder wie aus dem Wunsch Gott einen Gefallen zu tun und mit Zuhilfenahme der Bibel, die dabei zu einem Geschichtsbuch verklärt wurde, der Staat Israel endstand. 

 

Es geht bei diesem Beitrag weder um eine politische Wertung Israels, noch um die Frage, ob Juden ein Nationalstaat zusteht. Es geht darum aufzuzeigen wie Religion als Instrument missbraucht werden kann, um politische Ziele durchzusetzen.

Es geht aufzuzeigen welche Macht in der Bibel steckt, dass selbst Atheisten sich t
äuschen liessen und der Propaganda folgten, die nur auf Bibeltexten beruht. Ich werde stark komprimiert versuchen aufzuzeigen, wie es zum Begriff „jüdisches Volk“ kam und wie daraus der Landanspruch in Palästina begründet wurde.

Es ist eines der eindrücklichsten Beispiele, wie mit Religion Machtpolitik betrieben werden kann und betrieben wird. Wie der säkulare Zionismus mit Hilfe der Bibel ihren Landanspruch begründet, der letztendlich zur Gründung des Staates Israel führte. 

Der erste Staatsmann mit der notwendigen Macht, der für einen Nationalstaat der Juden plädierte, war Napoleon Bonaparte. 1799 hat er die Juden Afrikas und Asiens aufgerufen, das alte Jerusalem unter französischem Banner wieder zu errichten.

1840 legte Lord Shaftesbury einen Plan vor und forderte in diesem die Besiedlung Palästinas durch die Juden.

Englische Evangelikale wollten im Raume der heiligen Stätte Palästinas einen jüdisch-christlichen Staat errichten, um damit Gott einen Gefallen zu tun.

Palästina war seit 1516 Teil des Osmanischen Reiches, dieses war nach verlustreichen Kriegen und Aufständen geschwächt. Somit bestand eine gute Gelegenheit, hier eine europäische Kolonie zu errichten.

1833 gründete die Kirche von England in Jerusalem die erste Missionsniederlassung.

Frankreich präsentierte sich als Schutzmacht der Katholiken in Palästina. Die Russen erklärten sich zu den Schutzherren der orthodoxen Christen. Und 1841 erlaubten die Türken den Bau der evangelischen Christus-Kirche in Jerusalem.


Der erste christliche Bischof war Michael Alexander, ein getaufter Jude, der die Aufgabe bekam, die ansässigen Juden zu bekehren. In der Folge wanderten hunderte Gläubige in das Heilige Land, am stärksten die Templer. Mission und missionieren war das Gebot der Stunde, damit wurde einer der Grundsteine für die Konflikte in Palästina gelegt. Die Forderung, den Juden einen eigenen Staat zu geben, kam immer wieder auf, nur die Betroffenen, die Juden selber, erhoben diese Forderung bis Ende des 19. Jahrhunderts nicht.

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen Grundbegriffe auf, wie das jüdische Volk, das Land der Väter, das Exil, die Diaspora, die Aliha, Erez Israel oder die Erlösung des Bodens, alles Begriffe aus dem Alten Testament, sie wurden zur Selbstverständlichkeit derer, die nach einem Nationalstaat riefen. Begriffe, die bis heute gelehrt und geglaubt werden als geschichtlich bewiesene Tatsachen.

Die israelische Erinnerungsgesellschaft entstand nicht in einem spontanen Vorgang, sondern wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von begabten Neuerfindern Schicht um Schicht rekonstruiert. Diese verwendeten dabei vor allem aus der jüdischen und christlichen Religion entlehnte historische, sprich biblische historische Versatzstücke, um mittels fruchtbarer Phantasie, eine durchgehende Ahnenreihe bis hin zum jüdischen Volk von heute zu erfinden.

Wer waren die Schöpfer dieser Mythen? Der Mythos wird auch heute noch als wahre Geschichte in den israelischen Schulbüchern so gelehrt wird?

Die Väter und Schöpfer dieser Mythen, waren in erster Linie der Historiker Heinrich Graetz (1817 -1891) und Moses Hess (1812 -
1875), beides deutsch-jüdische Philosophen, ebenso Isaak Markus Jost (1793 -1860), ein jüdisch deutscher Historiker.

Heinrich Graetz, ein säkularer Denker, formte zunehmend die Bibel als historiographischen Ausgangspunkt. Er wurde zum Erfinder der jüdischen Nation. Für die grosse Mehrheit der jüdischen Gelehrten von Mittel war das Judentum eine Religionsgemeinschaft nicht mehr und nicht weniger.

Dies sollte sich unter Graetz ändern. Graetz befürwortete eine säkulare, wenn auch nicht atheistische Lesart der Bibel.

Selbst den ersten Siedlern waren Graetz Schriften Orientierungshilfen auf den verschlungenen Pfaden der Zeit. Im heutigen Israel tragen viel Strassen und Schulen seinen Namen. Er war es, der mit Pathos und Konsequenz das jüdische Volk erfand. Zu einer Zeit, als sich der Begriff Volk mit jenem der Nation zu verschmelzen begann.

Wichtig war: Graetz war kein Zionist und dennoch war er es, der das Grundmuster der nationalen jüdischen Geschichtsschreibung erfand. Er war es, dem es gelang, eine Kohärenz von Raum und Zeit zu schaffen, die wegweisend wurden für den Glauben, das jüdische Volk sei ein uraltes Rassenvolk. Sein Narrativ wurde selbst für nachfolgende Historiker wegweisend. Um ein Nationalgefühl, eine moderne kollektive Identität zu erzeugen, benötigt man Teleologie (Zielgerichtetheit) und Mythologie.

Den Gründungsmythos lieferte selbstverständlich der Kosmos der biblischen Texte. Über Jahrhunderte war die hebräische Bibel bei den jüdischen Gemeinden unbedeutend und nur über die auslegende Vermittlung der mündlichen Tora, also von Talmud und Midrasch, zu lesen.

Graetz schaffte es, sie wieder zum Mittelpunkt zu machen. Nichts bewies über-zeugender, dass die Juden ein Volk oder eine Nation, mit eigenem Staatswesen auf eigenem Territorium gewesen waren und nicht einfach nur eine Religionsgemeinschaft im Schatten der herrschenden Religionen. Nach dem Erscheinen Darwins  „Entstehung der Arten“ wurde es schwierig, mit der Schöpfungsgeschichte einen neuen Mythos zu begründen.

Darum nannte Graetz sein erstes Kapitel „Die Ansiedlung und Volkswerdung“, anders als Flavius Josephus in seinem antiken Werk. Die an Wundern reiche Frühzeit überging er, um das Werk wissenschaftlich erscheinen zu lassen.

Graetz folgte akribisch der biblischen Geschichte und betonte dabei besonders die Heldentaten, die militärische Stärke und vor allem die moralische Stärke und Beständigkeit der im Kindesalter stehenden jüdischen Nation. Beispielsweise liest sich seine Geschichte von der Eroberung Kanaans wie ein Tatsachenbericht. Er bemüht sich den Wundergeschichten wissenschaftliche Erklärungen beizufügen.

Auch waren es die Kinder Israels, die den Jordan überquerten und Kanaan eroberten, wo schon ihre Vorväter gelebt hatten, sie entstammten alle derselben Familie, beziehungsweise demselben Stamm. Graetz folgte auch hier akribisch dem Verlauf der biblischen Geschichte.

Ebenso betonte Hess immer wieder, die jüdische Rasse sei eine ursprüngliche, die sich trotz klimatischen Einflüssen in ihrer Integrität reproduzierte. Der jüdische Typus sei im Verlaufe der Jahrhunderte immer gleich geblieben. Wie schon erwähnt, Hess wie Graetz machten aus der jüdischen Religion eine jüdische Rasse. Dennoch: sie waren beide keine Zionisten.

Immer mehr intellektuelle Juden wie Nichtjuden mischten sich in diese Diskussion ein, so auch das wissenschaftliche Schwergewicht Theodor Mommsen. Dies in einer Zeit, in dem die Zugehörigkeit zu einer Rasse gleichbedeutend mit der Zugehörigkeit zu einem Staat empfunden wurde. So blieben diese Geschichten nicht ohne Folgen. Neben seiner histographischen Arbeit widmete Graetz seine letzten Lebensjahre der Erforschung der hebräischen Bibel, die inzwischen zum Buch der nationalen Wiedergeburt der Juden geworden war.

Bis zu seinem Tod verteidigte er leidenschaftlich, die historische Gültigkeit der Heiligen Schrift. Besonders die fünf Bücher Moses lagen ihm am Herzen. Graetz glaubte, dass die Tora, in der die geschilderten Ereignisse verfasst wurden und alle seine historischen Angaben zuverlässig seien. Es war kein Zufall, dass die Erben von Graetz in erster Linie aus der jüdischen Welt Osteuropas stammten.

Warum aber ein Volksmythos schaffen ohne Anspruch auf eine Nation?

Nachdem sich die Idee, dass die Juden keine Religionsgemeinschaft, sondern ein Volk, mit einer allen gemeinsamen Wurzel seien sich etabliert hatte, war der Weg und Wunsch zu einem territorialen Staatswesen nicht mehr weit.

Nun gab es aber ein grosses Problem, es gab säkulare Juden, die mit den Geschichten aus dem Alten Testament nichts anfangen konnten. Bis zur Säkularisierung Europas hätten diese Thesen vom Volk Bestand gehabt, war doch für die Gläubigen klar, sie, die Juden seien das auserwählte Volk, Gottes heilige Gemeinde, sie seien ein Licht für all die anderen Völker. Wie schon erwähnt, im Zuge der Nationalisierung waren auch die Juden aber in erster Linie Franzosen, Engländer, Deutsche, und erst in zweiter Linie Juden. Waren doch auch beim Beginn des ersten Weltkrieges die meisten Juden bereit in den Krieg für ihre Nation zu ziehen, und in den Schützengräben schossen doch Juden auf Juden.

Nach dem ersten Weltkrieg begann der Zionismus rasch an Boden zu gewinnen. Es war auch die Zeit der biologischen Wissenschaft. Es musste eine biologische Vererbung konstruiert werden, um die Voraussetzung zu schaffen, einen Anspruch auf Palästina zu haben. Der historische Mythos erforderte eine wissenschaftliche Ideologie, da doch die modernen Juden keine direkten Nachfahren der Exilanden waren, wie hätte dann die Besiedelung des heiligen Landes legitimiert werden sollen, das angeblich das alleinige Land Israels war?

Wie war nun der Beweis eines jüdischen Volkes beizubringen?

Gab es doch weder eine einheitliche Sprache noch eine gemeinsame Kultur, es gab nur die Religion, aber die Volkslegende über die Religion alleine zu spinnen, war zu dünn. Schliesslich gab und gibt es auch säkulare Juden, denen das Band der Religion nicht reichte, nein es musste etwas herhalten, das unumstösslich war. 

Eine weiter Gelegenheit einen jüdischen Staat zu errichten bot sich 1919 in Folge der Versailler Verhandlungen. Die Traktandenliste war übervoll mit Anträgen aller Art für die Neugründung von Nationalstaaten und neuen Grenzziehungen, so dass sich der US-Präsident Woodrow Wilson genötigt sah, dieses Traktandum zu streichen und auf einen später Zeitpunkt zu verschieben. Wilsons anliegen war vor allem den Völkerbund aus der Taufe zu heben um weitere Kriege zu verhindern. Ausgerechnet sein eigenes Land, die USA verweigerte aber eine Ratifizierung. Dieser Umstand band seine ganzen Kräfte.

Nathan Birnbaum (1864 – 1937) war vermutlich der erste zionistische Intellektuelle. Er etablierte bereits 1891 den Begriff Zionismus und knüpfte an die Ideen von Moses Hess an. Die geistige und emotionale Besonderheit eines Volkes könne nur durch die Naturwissenschaft erklärt werden. Für ihn war es klar, weder die Sprache noch Kultur könne die Entstehung einer Nation erklären, sondern nur die Biologie.

Martin Buber  (1878 – 1965) prägte den Begriff „Blutgemeinschaft“, das Blut sei es, dass eine Gemeinschaft von Toten, Lebenden und Ungeborenen hervorbringen würde. Eine neoromantische Mystik von Erbgut und Boden wurde zu einem spirituellen Nationalismus. Die Zeit der Eugenik war geboren. Hätte die Eugenik im 20. Jahrhundert nicht eine derart tragische Konsequenz gehabt, man könnte aus heutiger Sicht darüber lachen.

Zurück zu dem erwachenden Zionismus.

Simon Dubnow (1860-1941) führte die Gedanken um das jüdische Volk von Heinrich Graetz weiter. Dubnow war der Vertreter einer jüdischen säkularen Kultur, er war bemüht, das Jüdische über den Verfall des religiösen hinaus zu erhalten. Dubnow kam aber auch aus einem Umfeld des aufkeimenden Zionismus. So war er selber aber kein Anhänger des Zionismus oder eines jüdischen Nationalstaates. 

Der Kreis derer, die diesen Gedanken aufnahmen und weitersponnen wurde immer weiter. Sei es Jost, oder der eigentliche Vater des Zionismus, der
österreichisch-ungarisch-jüdische Schriftsteller, Publizist und Journalist, Begründer des modernen politischen Zionismus, Dr. Theodor Herzl (1860 -1904). Das Schlüsselerlebnis, das in Herzl den Plan zum Buch „Der Judenstaat“ entstehen ließ, war die Dreyfus-Affäre

Herzls Buch „Der Judenstaat“ fand grosse Aufmerksamkeit, nicht nur in Europa, sondern auch im nahen Osten. Hier wurde es als Bedrohung empfunden. Das Buch liest sich absolut und rassistisch. Ein Ereignis kam Herzl zu Gute, die Einweihung der Erlöserkirche in Jerusalem. 

Der deutsche Kaiser Wilhelm II. liess sich nicht nehmen, die Erlöserkirche in Jerusalem persönlich einzuweihen. Die kaiserliche Reise begann am 11. Oktober 1898 mit dem Reiseziel Konstantinopel und einem persönlichen Treffen mit Sultan Abdul Hamid II. Zum politisch diplomatischen Gefolge des Kaisers gehörten eine Schar von etwa 200 offiziellen Gästen und 279 weitere nichtoffizielle Teilnehmer,

die auf eigene Kosten ihn begleiteten. Am 31. Oktober endlich war der Höhepunkt der Reise mit der Einweihung der Erlöserkirche erreicht. Am 2. November empfing der Kaiser in seinem Zeltlager eine aus Europa angereiste jüdische Delegation, unter der Leitung des Dr. Theodor Herzl. Der verfolgte höhere Ziele. Nach seinem Buch der Judenstaat und der Einberufung des 1. Zionistenkongresses 1897 in Basel gab Herzl den Anstoss für den politischen Zionismus. Eingefädelt hatte das Treffen mit dem Kaiser, der judenfreundliche Grossherzog Friedrich von Baden.

Die Zukunft konnte nur in der Errichtung eines eigenen Judenstaates in Palästina sein, einer öffentlich rechtlich gesicherten Heimstätte, wie Herzl es formulierte. Gefördert werden sollte dieser Plan, zunächst durch die Errichtung landwirtschaftliche Kolonien durch europäische Juden in Palästina. Dass solche Pläne nur mit Zustimmung der türkischen Regierung möglich waren und zusätzlich Schutz brauchten durch das Protektorat einer europäischen Grossmacht, war klar.
                                                                                
Herzl hielt das deutsche Kaiserreich unter Kaiser Wilhelms II. als besonders für diese Aufgabe befähigt. Den Türken machte Herzl das Angebot, bei ihrer Zustimmung würde das internationale Judentum, die vollständigen Auslandschulden des Osmanischen Reiches übernehmen. Dem Kaiser versuchte Herzl seine Pläne damit schmackhaft zu machen, dass er einen Teil der bürgerlichen Opposition loswerden würde, und er, der Kaiser, sich als neuer Moses fühlen dürfte, der das auserwählte Volk zurück ins gelobte Land führte. Herzl war begeistert vom Enthusiasmus des Kaisers gegenüber seinen Plänen. Durch seine baldige Abreise aus Konstantinopel bekam er dann freilich nicht mehr mit, dass sich dieser kaiserliche Enthusiasmus sehr rasch in Ratlosigkeit verwandelte.

Sultan Abdul Hamid lehnte die Pläne Herzls und des Kaisers in aller Deutlichkeit ab.

Einer freilich hatte diese Reaktion bereits schon im Voraus geahnt und vergeblich den Kaiser vor zu großer Begeisterung gewarnt, es war der deutsche Außenminister Bernhard von Bülow. Er wusste bereits, dass die finanziellen Versprechungen Herzls auf unsicheren Füßen standen, weil die großen jüdischen Bankiers, wie die Rothschilds seine Pläne für undurchführbar hielten. Bülow war auch klar, dass der Sultan, der zu dieser Zeit noch als Kalif die Funktion eines geistlichen Oberhauptes aller Muslime innehatte, kein muslimisches Gebiet für einen jüdischen Staat hergeben konnte, ohne ein schweres innenpolitisches Beben auszulösen.

Bereits jetzt gab es vonseiten hoher arabischer Würdenträger erhebliche Beschwerden über die bereits bestehenden und immer grösser werdenden jüdischen Siedlungen. Diese wuchsen dank Werbung in der ganzen Welt, die Juden wurden aufgefordert, in Palästina Land zu kaufen und dieses zu besiedeln. Der Sultan aber wollte keinen neuen Nationalitätenkonflikt implantieren, der wiederum die europäischen Großmächte auf den Plan gerufen hätte. Und Bülow konnte sich die Reaktionen der übrigen Großmächte ausrechnen, wenn Deutschland das Protektorat über einen jüdischen Staat, in einer der potentiellen Krisenregionen jener Jahre übernehmen würde. In der Folge schlugen die Zionisten einen anderen Weg ein, um letztlich ans Ziel zu gelangen.

Die weitere Würdigung der Entwicklung führt nun in eine rein politische, doch ent-scheidend war die Haltung Lord Balfour’s, dann der I. Weltkrieg, die Versailler Verträge usw. Doch diese politischen Aspekte sind nicht der Inhalt dieses Referats. Somit möchte ich zu den religionsbezogenen Aspekte zurückkehren.

Einer der ersten Wegbereiter war Semjon Markowitsch Dubnow (1860 -
1941), ein russischer Historiker und Theoretiker des Judentums. Anfangs des 20. Jahrhunderts war er Politiker. Dubnow entwickelte eine Erzählstrategie, die alle nach im kommen-den zionistischen Historiker adaptieren sollten. Seine These, auch wenn die Bibel voller fiktiver Geschichten sei, so habe sie ein lebendiges Volksgedächtnis geschaffen zur grossen geschichtlichen Wiedergabe und lieferte den authentischen Beweis, was dieser Nation widerfuhr. Dubnow wie Graetz war es wichtig, die Geburtsstunde so weit wie möglich in die Tiefe der Vergangenheit zu versenken. Die zunehmenden archäologischen Funde passten allerdings gar nicht in dieses Bild, aber Dubnow löste es auf seine Weise. Die Funde müssten nur richtig gelesen werden, um die Frühgeschichte des jüdischen Volkes wissenschaftlich zu verifizieren, um es passend zu machen. Er legte mit dieser Art mit Wissenschaft umzugehen den Grundstein für eine lange Geschichte des jüdischen Nationalismus. Das Beugen der Geschichte begründete die Eigentumsrechte des Volkes Israel an Erez Israel.

In der Folge wurden den teleologischen Texten und dessen Wahrheiten immer der Vorzug vor archäologischen Funden und Erkenntnissen der Histographie gegeben, um so das Konstrukt der Nationalgeschichte nicht zu gefährden. Dubnow kleidete seine Erzählungen in ein wissenschaftliches Gewand, das der Bibel aber nie widersprach. Er ging noch weiter, sein Ziel war, eine Abschottung der Juden zu erreichen. So machte er, nur ein Beispiel, auf die Problematik der Mischehen aufmerksam, er empfahl ein umfassendes Verbot der Mischehe und damit eine Ausstossung der fremden Elemente aus der jüdischen Rasse, um die Reinheit dieser Rasse zu garantieren. Nur die Säuberung des nationalen Organismus trage zur Genesung bei. Dass die allermeisten Juden allerdings durch Konversion zum jüdischen Glauben fanden und nicht durch eine durchgehende Linie der Nachkommen, wurde als nicht passend abgelehnt.                                                                                  

Ein weiterer Zeuge, Zeev Yavetz (1847-1924) gehörte zu denen, die die Heilige Schrift in ein nationales Buch verwandelten. Ebenso Salo Baron (1895 -1985), der stellte sich auf den Standpunk, dass die biblische Geschichte einen authentischen historischen harten Kern an Tatsachen enthalte. Von diesem Standpunk aus lässt sich die Geschichte der Juden praktisch genau so erzählen, wie sie in der Bibel steht.

Die jüdische Geschichte in all ihrer göttlichen Metaphysik wird behauptet als eine Geschichte von Nomaden in uralter Zeit, die unverändert über alle Jahrhunderte erhalten blieb. Auch Baron benötigte den biblischen Ausgangspunkt, um im weiteren Verlauf der Geschichte die Juden in späteren Epochen darstellen zu können. Er stellte sie dar als ein flexibles mobiles außergewöhnliches Volk, dass schon in biblischer Frühzeit auf sein späteres Schicksal vorbereitet worden war. Dies hätte ihnen auch das Überleben ermöglicht. Baron beschrieb, dass nach der Zerstörung des ersten Tempels sie zerstreut in alle Winde weit weg, unter den Regierungen fremder Könige gelebt haben, sie dennoch in ethnischer Hinsicht Juden blieben.

Dank der Ethnizität blieb die nationale Identität der Juden bewahrt. Sein ganzes Werk hindurch versuchte Baron zwei zentrale Aspekte des Judentums in Einklang zu bringen; einerseits den Ethnozentrismus, also das Bewusstseins der gemeinsamen Herkunft mit der Verbindung der besonderen Spiritualität.



Itzhak Baer (1882 -1980) rezensierte Barons Buch 1938 in Jerusalem. 1936 erschien Baers eigenes Werk mit dem Titel Galut (Exil), er stellte schon auf den ersten Seiten die Behauptung auf, dass die Bibel das allmähliche Heranreifen des Gottesvolkes erzähle und sein Anrecht auf das verheissene Land, auf Erez Israel begründe.

Er lässt sein Buch mit einem Glaubensbekenntnis enden, das wegen der grossen Wirkung des jüdisch-israelischen Geschichtsbewusstseins der kommenden Generationen alle prägten. So definierte Baer es als biblischen Mythos, der den Standort der Wiege der Nation verkündete, als Abschied vom Exil und als Rückkehr in den Schoss jener fruchtbaren Erde, die einst dieses auserwählte Volk hervor-gebracht hatte. Was könnte die Identität der wahren Eigentümer besser beweisen, als die Bibel. Baer betrachtete in seiner ganzen Überlegungen die Bibel als Ursprung der organischen Entwicklung der gesamten jüdischen Geschichte.

In den 1950 Jahren verwandelte sich die israelische Vergangenheitskultur der nationalisierten Bibel in einen Abenteuerroman, dessen Held der eigene Stamm war.

Ein weiterer israelischer Historiker war Ben Zion Dinur, er war 1951 bis 55 Israeli-scher Erziehungsminister und schrieb diverse Bücher. Seine Schriften wurden für viele zur historisch-nationalen Wahrheit. Er klärte als Erster auf, was es mit Eretz Israel auf sich hatte und beschrieb die grosszügig gezogenen Grenzen des gelobten Landes. Er verbannte die religiöse Metaphysik aus der Heiligen Schrift und machte sie zu einem klassischen historisch-nationalen Glaubensbekenntnis.

Mit dem gleichen Eifer wie Baer zog Dinur wieder und immer wieder die Bibel heran, um über das Recht Auskunft zu geben, welches die Juden an dem alleine für sie bestimmten Boden haben. Zu den zahlreichen Aktivitäten Dinurs gehörte auch, die Teilnahme an den Bibelkreisen, die in den Fünfzigerjahren im Hause des ersten israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion regelmässig stattfanden. Schon früh half er mit, die Heilige Schrift zu einem säkular-nationalem Buch umzufunktionieren. Er half damit vielen Neueinwanderern, sich zu integrieren und eine Verbundenheit der jungen Generation mit dem Land herzustellen.

Ben Gurion wie auch andere politische, militärische und intellektuelle Führungsfiguren waren überzeugt, dass ihr historisches Wirken eine Wiederholung der biblischen Landnahme darstellt und der neu gegründete Staat die Nachfolge des davidianischen Königreiches sei. Ben Gurion verbrachte einen Grossteil seiner Freizeit, sich der Mythohistorie um das ideologische Weltbild des Zionismus zu widmen. Er betonte immer wieder, dass die Heilige Schrift der Identitätsnachweis

des jüdischen Volkes sei und gleichzeitig der Beweis für den Anspruch, den das Land Israel hat. Er beharrte auch darauf, dass die Wahrheit der Bibel in historischer, in geographischer, wie auch in religiöser und kultureller Hinsicht zu gelten habe. Ben Gurion berief sich gerne und oft auf den göttlichen Willen, so auch, als er schrieb, das Versprechen Gottes, dass die Nachkommen Abrahams und Saras das Land Kanaan erhalten werden. In den ersten Jahren des Staates Israel pflegte die komplette intellektuelle Elite den Kult um den Dreiklang: Buch-Volk-Land. Die Bibel wurde zu einem Grundstein des erneuerten Staatswesens. Auch war es nicht erst der voll ausgebildete Staat, der dem Erziehungswesen den von Bewunderung geprägten Umgang mit der Bibel aufzwang. Das vor staatliche Bildungssystem und die junge Literatur hatten die Bibel schon viel früher zum zentralen Bezugspunkt des erwachenden Geschichtsbewusstseins gemacht.

Bereits mit der expandierenden Siedlungstätigkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die ersten Schulen mit der Unterrichtsprache Hebräisch gegründet wurden, verwandelte sich die Bibel in ein pädagogisch-nationales Buch, das ein eigenes Unterrichtsfach bekam. Diese nationale Variante Bibel gleich Geschichte, gilt bis heute und ist für die politische Kultur genau so selbstverständlich wie auch in den Schulen. Auch werden immer wieder biblische Geschichten zur Legitimation von Taten herangezogen. So wurde die Besetzung des Westjordanlandes 1967 mit der Geschichte vom kleinen David und dem Riesen Goliath verglichen, sie sollte den Sieg der israelischen Streitkräfte über die Araber symbolisieren.

Die Bibel als oberste Rechtfertigung für die Besiedlung des Landes in der Gegenwart und jeder Kampf sind das Echo auf eine Tat in der Vorzeit. Auch gilt der Vorsatz, es dem starken Königreich Davids gleichzutun, also in einem vereinigten Land Israel zu leben, das sich vom Jordan bis zum Meer und von der Wüste bis zum Berg Hermon erstreckt. Somit müssen wir aufgrund der Geschichte zum Schluss kommen, dass es nie ein grosses jüdisches Reich gab?
                                                                                  
Doch es gab ein jüdisches Reich! Nur lag dieses jüdische Reich nicht in Palästina, sondern zwischen dem Schwarzen Meer, der Wolga und dem Don. Es war das Stammesvolk der Chasaren, gegründet im 7. Jahrhundert und ca. im 8. oder 9. Jahrhundert gross-mehrheitlich zum Judentum konvertiert. Die Chasaren waren wichtige Bundesgenossen des Byzantinischen Reiches gegen das Sassanidenreich und waren auf der Blüte ihrer Machtentfaltung eine bedeutende Regionalmacht.

Sie führten eine Reihe erfolgreicher Kriege gegen die arabischen Kalifate, wodurch sie möglicherweise eine arabische Invasion Osteuropas verhinderten.

Am Ende des 10. Jahrhunderts wurde ihre Macht durch die aufstrebende Kiewer Rus gebrochen, und die Chasaren verschwanden weitgehend aus der Geschichte. Ihre Bewohner verstreuten sich in alle Winde, nach Polen, Tschechien und bis nach Mitteleuropa. Die Chasaren kamen durch Konversion zum Judentum und waren mit ganz wenigen Ausnahmen Proselyten.

Aber warum wurde überhaupt im grossen Stil konvertiert?

Schauen wir die jüngste der drei Weltreligionen an. Der Islam war vor allem aus wirtschaftlichen Gründen interessant, so zahlten alle Nicht-Muslime Steuern, Muslime aber waren davon befreit. Natürlich gibt es noch viele untergeordnete Gründe. Zum Christentum kamen viele durch Pressung. Das Christentum verstand es immer wieder mit dem Schwert auf die Vorzüge ihres Glaubens hinzuweisen und zu überzeugen. Das Judentum war von Interesse als erste monotheistische Religion. Der Monotheismus hatte viele Vorzüge gegenüber den Vielgötter-Religionen. Nur noch ein verantwortlicher Gott, der auch gleich noch allmächtig war. Zu den von Gott auserwählten zu gehören und dies auch noch mit strengen Regeln zu unterstreichen, brachte Vorteile. Einer Elite anzugehören, war nicht ohne Reiz. Auch wenn das Judentum in der Neuzeit nicht mehr missioniert, war dies in der Vergangenheit anders. 

Somit haben die allermeisten Juden kein semitisches Blut. Auch heute noch wehren sich die allermeisten Juden, wenn behauptet wird, sie seien nicht Nachkommen des davidianischen Reiches. Es gilt immer noch als antisemitisch, wenn darauf hingewiesen wird, die Juden hätten ihre Wurzeln in den Steppenreitern zwischen den Ufern der Wolga und des Don.

Natürlich gäbe es noch unendlich viel über das Verhältnis Bibel und Staat Israel zu erzählen, aber dieser Ausschnitt soll ein Versuch sein, zu erklären, hätte das Land nicht die Bibel und die Erinnerung an das Exil des jüdischen Volkes gehabt, dann hätte es kaum rechtfertigen können, den arabischen Teil Jerusalems zu annektieren und Siedlungen im Westjordanland, in Gaza, auf den Golanhöhen und sogar auf dem Sinai zu errichten.

Das Fazit daraus ist sehr wichtig. Wenn wir das Alte Testament zur Histographie erklären, zum Geschichtsbuch der Wahrheit, heisst das auch, die Schöpfungsgeschichte, Adam und Eva, die Sintflut, Sodom und Gomorra und all die anderen Geschichten zur geschichtlichen Wahrheit zu erheben. Aber nur jene Teile zur Wahrheit erklären, die politisch von Nutzen sind und alles andere in die Fabelwelt zu verbannen, das geht nicht. Die Landnahme mit einem biblischen Auftrag zu rechtfertigen, hinterlässt in mir, als Atheisten, einen mehr als bitteren Nachgeschmack. 




 

© Kurt Schmid